Wann kommt T+1 in Europa? | SIX (2024)

Inhaltsverzeichnis

  • Warum dauert die Abwicklung eines Trades zwei Tage?
  • 5 Gründe, warum die USA zu T+1 wechseln
  • Kommt T+1 auch in Europa?
  • T+1: Was sind die Herausforderungen?
  • Warum nicht gleich Atomic Settlement?
  • Was bedeutet Netting?
  • Wie geht es weiter mit T+1?

Wenn ich heute eine Aktie kaufe, ist die Aktie dann auch ab heute in meinem Besitz? Zwar habe ich bereits dafür bezahlt, aber tatsächlich dauert es ab dem Zeitpunkt der Transaktion zwei Tage, bis der Trade wirklich abgeschlossen ist. Das liegt am sogenannten Trade Settlement, dem Prozess, der einen reibungslosen Austausch zwischen den handelnden Parteien ermöglicht. Dieser Prozess funktioniert heutzutage in grossen Teilen der Welt mit dem T+2-Standard (Datum des Trades + 2 Werktage bis zum Settlement). Aber das könnte sich bald ändern. In den USA (wie auch in Kanada & Mexiko) wird der Zeitrahmen des Settlements im Mai 2024 halbiert. T+1 statt T+2. In Indien ist diese Praktik bereits Realität. Nun prüfen auch die europäischen Staaten die Integration von T+1.

Warum dauert die Abwicklung eines Trades zwei Tage?

Der Kauf eines Wertpapiers ist keine reine Transkation zwischen kaufender und verkaufender Partei. Tatsächlich sind bei einem Trade noch weitere Stellen involviert, sogenannte Intermediäre. Während den zwei Tagen, stellen diese sicher, dass beide Vertragsparteien ihre Verpflichtungen erfüllen können. Oft sind diese dabei in unterschiedlichen Zeitzonen stationiert. Einer der wichtigsten Prozesse im Post-Trade-Umfeld ist das Clearing: Alle Trades, die an einem Tag gemacht werden, werden zu einer Central Counterparty (CCP) gesendet. Die CCP fungiert als Vermittler zwischen den beiden Vertragsparteien und garantiert der kaufende, wie auch der verkaufenden Partei eine saubere Abwicklung. Das heisst: Die CCP übernimmt das Gegenparteirisiko. Wenn also eine der beiden Vertragsparteien seine Verpflichtungen innerhalb der zwei Tage nicht erfüllen kann, springt die CCP ein und agiert quasi als Versicherung.

5 Gründe, warum die USA zu T+1 wechseln

Die USA stellen nun um. Und zwar am 28. Mai 2024. Warum dieser Schritt? Man verspricht sich davon verschiedene Vorteile. Diese sind die fünf wichtigsten:

1. Reduzierung von Risiken

T+1 reduziert die Zeit zwischen der Ausführung und der Abwicklung eines Trades. Das bedeutet, es vergeht weniger Zeit, in der sich die Marktkonditionen ändern können. Das Risiko verringert sich.

2. Kosteneinsparungen

Mit einer Verkürzung des Zeitraums ist das Kapital für weniger Zeit gebunden. Das führt zu niedrigeren Betriebskosten und weniger Nachschussforderungen aufgrund von Preisschwankungen.

3. Mehr Stabilität

T+1 soll zu mehr Stabilität im Finanzmarkt führen, indem es das Gegenparteirisiko und die Anfälligkeit für Marktschwankungen verringert und eine schnellere Identifizierung und Lösung von Problemen ermöglicht.

4. Modernisierung und Harmonisierung der Infrastruktur

Die Verkürzung des Settlement-Zyklus erfordert eine Verbesserung der Systeme und Verfahren aller Parteien und fördert die Einführung fortschrittlicher und automatisierter Technologien.

5. Mehr Liquidität und bessere Nutzung von Kapital

Mit T+1 steht Kapital schneller zur Verfügung. Das schafft mehr Möglichkeiten zur Nutzung von Kapital und erhöht die allgemeine Marktliquidität. Anlegende erhalten schneller Zugang zu Geldern und können effizienter investieren oder handeln.

Kommt T+1 auch in Europa?

Die Einführung von T+1 in den USA hat natürlich auch die Diskussionen in Europa über eine mögliche Umstellung befeuert. Aktuell diskutiert die Branche darüber. Fachleuten zufolge könnte es allerdings noch ein paar Jahre dauern, bis Europa nachzieht. Am jährlichen Network Forum in Athen, einem Event, bei dem sich Branchenvertreter aus Custody, Settlement und Post-Trade treffen, erwarteten 69 % der Teilnehmenden eine europäische Umstellung zu T+1 nicht vor 2028. Das ist vor allem auf veraltete Prozesse bei einem Teil der Marktteilnehmer zurückzuführen. Mitunter verarbeiten diese Aufträge gar noch per Fax. Was bei T+2 noch zu funktionieren scheint, müsste bei T+1 modernen Prozessen weichen – und das könnte eine Weile dauern.

T+1: Was sind die Herausforderungen?

Neben der notwendigen technologischen Auffrischung bringt eine Integration von T+1 noch weitere Herausforderungen mit sich. Dazu gehören:

  • Zeitdruck

Das betrifft vor allem den internationalen Handel zwischen verschiedenen Zeitzonen. Nehmen wir als Beispiel Asien und die USA. Mit T+2 haben die beiden Kontinente ungefähr zwölf gemeinsame Arbeitsstunden zwischen Trade- und Settlement-Datum. Mit T+1 reduziert sich das laut der Association for Financial Markets in Europe (AFME) um 83 % - von zwölf auf zwei Stunden. Das bedeutet: Wenn operationelle Probleme auftreten, wird es sehr viel schwieriger, diese zeitnah zu lösen.

  • Der Devisenmarkt funktioniert mit T+2

Falls der Devisenmarkt nicht gleichzeitig auf T+1 umstellt, müssten Anlegende, die in Fremdwährung investieren, Geld vorausschiessen. Das erfordert mehr Liquidität und erhöht Fluktuationsrisiken.

  • Corporate Events

Corporate Events (wie etwa Dividendenausschüttungen oder Aktiensplits) funktionieren im T+2 Umfeld folgendermassen: Die Auszahlung (der Dividende beispielsweise) erfolgt zum Datum T+2. Das Record Date (Datum, an dem festgelegt wird, wem eine Dividende zusteht) ist einen Tag vor der Ausschüttung – also S-1. Das Ex-Date (erster Tag ohne das Recht auf die aktuelle Dividende) ist zwei Tage vor der Ausschüttung (S-2). Mit T+1 müsste dieser Prozess umgestellt werden, was eine grosse Herausforderung darstellen könnte.

  • Settlement Failures

Wenn Probleme auftreten, hat man mit T+1 weniger Zeit diese zu lösen. Das würde mit grosser Wahrscheinlichkeit zu mehr gescheiterten Settlements führen. Das betrifft vor allem auch ETFs. Denn bereits im aktuellen T+2-Umfeld weisen einige ETFs eine Settlement-Failure-Rate von 30-40 % auf.

Warum nicht gleich Atomic Settlement?

Atomic Settlement bedeutet das sofortige Settlement von Trades. Heisst: Ein Trade wird unmittelbar nach dem Klick auf «Buy» oder «Sell» abgewickelt. Das ist heutzutage bereits möglich – mit Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Die grosse Frage, die sich hier stellt: Wenn die Umstellung zu T+1 tatsächlich nicht vor 2028 geschehen sollte, warum stellt man dann nicht gleich auf Atomic Settlement um? Die Infrastruktur wäre zum Beispiel mit SIX Digital Exchange (SDX) bereits vorhanden. Ein Grund heisst Netting.

Was bedeutet Netting?

Netting bedeutet so viel wie die Vereinfachung von Transaktionen durch deren Kombination. Ein Beispiel: Unternehmen A schuldet Unternehmen B 50’000 Schweizer Franken. Gleichzeitig schuldet Unternehmen B Unternehmen A CHF 30’000 Schweizer Franken. Statt beide Zahlungen durchzuführen, werden die Zahlungen kombiniert. Also zahlt Unternehmen A 20’000 Franken an Unternehmen B – und alle Schulden sind beglichen. Genau dasselbe Prinzip wenden die CCPs heutzutage im Trading an. Das führt dazu, dass eine grosse Mehrheit der Trades gar nicht erst abgewickelt werden muss. Mit Atomic Settlement verhält sich das anders. Von 100 Trades müssten auch 100 abgewickelt werden (Gross Settlement). Das würde einen gewaltigen Druck auf die Liquidität und die Verfügbarkeit von Wertpapieren bedeuten.

Wie geht es weiter mit T+1?

In Europa wartet man erstmal die US-Integration ab. Gleichzeitig laufen natürlich die Diskussionen über eine mögliche Umstellung, um kompetitiv zu bleiben. In der Theorie reduziert T+1 Risiken. In der Praxis gibt es viele Herausforderungen. Diese gilt es nun gegeneinander abzuwägen. Klar ist: T+2 wird sicherlich nicht für immer der Status quo bleiben. Wie lange es jedoch genau dauern wird, bis eine globale Umstellung eintritt – sei es zu T+1 oder gleich zu Atomic Settlement – kann im Moment niemand voraussehen.

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